Die Komponisten des Pop-Oratoriums im Gespräch (Teil 1)

(17.03.2013) Hamburg. Sigi Hänger und Christoph Oellig sind die Komponisten des Pop-Oratoriums „Ich bin – Jesus in Wort und Wundern“, das im Juni 2013 von rund 1.800 jugendlichen Sängerinnen und Sängern in Dortmund und Hamburg aufgeführt wird. Im Gespräch verraten sie, wie es zum Auftrag kam, wie man ein Pop-Oratorium komponiert und welches Wunder Jesu sie am meisten fasziniert.

Sigi Hänger wurde 1972 in Mutlangen bei Schwäbisch Gmünd geboren. Nach dem Abitur und Zivildienst studierte er Schulmusik an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in Stuttgart. Seit 1998 betreibt er die Musikschule Kla-5 & Co in Lorch-Waldhausen und arbeitet seit 2010 zusätzlich als externer Berater für den Bischoff Verlag, Frankfurt am Main. Für die Neuapostolische Kirche ist Sigi Hänger als Priester tätig.

Christoph Oellig wurde 1976 in Bad Kreuznach geboren. Nach dem Abitur studierte er Schulmusik sowie Jazz und Pop an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in Stuttgart. Er arbeitet als Musiklehrer am Robert-Bosch-Gymnasium in Wendlingen am Neckar. Daneben ist er als Leiter und Klavierbegleiter von verschiedenen Projektchören und Schülerbands tätig und spielt Schlagzeug in der Landes-Lehrer-Bigband Baden-Württemberg.

Noch nie zuvor hat die Neuapostolische Kirche die Komposition eines Pop-Oratoriums in Auftrag gegeben. Sie haben diesen großen und attraktiven Auftrag erhalten. Wie kam es dazu?

Sigi Hänger: Gerrit Junge hat mich gefragt, ob wir das Pop-Oratorium „Die zehn Gebote“ aufführen wollen, ob ich mir zum Beispiel vorstellen könnte, eine Band zusammenzustellen oder dergleichen. Doch ich fand dann heraus, dass aufgrund von bereits geplanten Aufführungen keine Rechte für eine zusätzliche Aufführung im Jahr 2013 zu bekommen sind. Also habe ich Gerrit gesagt: Finde jemanden, der selbst ein Pop-Oratorium schreibt – dabei habe ich zu diesem Zeitpunkt in keiner Weise daran gedacht, das Komponieren selbst zu übernehmen.

Und dann kam es doch so.

Sigi Hänger: Ja, nachdem Gerrit die Idee mit Bezirksapostel Krause besprochen hatte, ging die Frage, das Stück zu schreiben, direkt an mich. Also habe ich den Auftrag angenommen – mit der Bedingung, dass ich das Riesen-Projekt nicht alleine stemme, sondern dass ein weiterer Komponist mitarbeitet. Folglich griff ich zum Telefon und habe Christoph (Christoph Oellig, Anm. d. Red.) gefragt. Und so nahm alles seinen Lauf…

Herr Oellig, hatten Sie Bedenken den Kompositionsauftrag der Neuapostolischen Kirche anzunehmen – vor dem Hintergrund, dass Sie nicht neuapostolischen Glaubens sind?

Christoph Oellig: Stimmt, ich bin evangelisch. Als Sigi anrief, musste ich schon erst einmal schlucken. Aber nur wegen des Umfangs und der Größenverhältnisse, also wegen der musikalischen Herausforderung. Mit dem Inhalt hatte ich überhaupt keine Bedenken, da bin ich komplett dabei. Umgehauen hat mich nur die Größe der Aufgabe, denn das Pop-Oratorium ist ein dermaßen großes Projekt…

Ihr größtes musikalisches Projekt bislang?

Christoph Oellig: Ja, absolut.

Sigi Hänger: Auch bei mir, definitiv. Ich weiß gar nicht, ob es noch ein größeres Projekt jemals geben kann.

Welche Erfahrungen haben Sie bis heute als Komponist und Musiker gesammelt?

Christoph Oellig: Einige. Weil wir mit verschiedenen Ensembles zu tun haben – und ich, als Lehrer, vor allem im Schulkontext. Da bin ich für einen Chor tätig, spiele selbst in einer Big-Band und so weiter.

Sigi Hänger: Wir haben auch schon viel zusammen gearbeitet, beispielsweise für den Europa-Jugendtag der Neuapostolischen Kirche. Da sind wir mit „Come to my Jesus“ (offizielles Lied zum Europa-Jugendtag 2009, Anm. d. Red.) irgendwie auf den Geschmack gekommen und hatten damals davon geträumt, irgendwann auf ähnlicher Basis etwas Größeres zu schreiben.

Bei den vielfältigen beruflichen wie ehrenamtlichen Tätigkeiten, die Sie haben: Wie konnten Sie sich zusätzlich Zeit für die Komposition eines Pop-Oratoriums nehmen? Und wie viel Zeit haben Sie insgesamt investiert?

Christoph Oellig: Na ja, als Lehrer hat man glücklicherweise Ferien und als Musikschullehrer auch (spielt auf Sigi Hänger an, Anm. d. Red.). Das meiste ist dann tatsächlich in den Ferien entstanden. Wie viel Zeit wir aber konkret investiert haben, weiß ich gar nicht.

Sigi Hänger: Im Prinzip kann man sagen: Die Osterferien 2012 waren die Hauptkompositionszeit. In diesen zwei Wochen hatten wir 80 Prozent des Klavierauszugs fertig – natürlich ohne die Feinheiten gemacht zu haben. Der Rest folgte in den Pfingstferien und an einigen Wochenenden. Doch da habe ich schnell gemerkt: Außerhalb der Ferien wird es schwierig. Dafür unterrichte ich einfach zu viel, nämlich zehn bis zwölf Stunden täglich.

Sie hatten zeitweise extra Ihre Musikschule geschlossen…

Sigi Hänger: Genau. Ich musste mir einfach Entlastung schaffen, Raum schaffen, um die Musik auf Papier zu bringen. Das Ausdenken, das Kopf-Komponieren ist ja nur die erste Hälfte der Arbeit.

Gibt es denn den typischen Kompositions-Alltag, den Sie kurz skizzieren könnten? Wie hat man sich Ihre Arbeit vorzustellen?

Sigi Hänger: Das Wichtigste ist: Morgens frühzeitig aufstehen.

Christoph Oellig: Und einen Waldlauf machen. (lacht)

Sigi Hänger: Im Ernst: Ich habe die Zeiten ein bisschen mitverfolgt. In der Regel hatten wir mindestens 16-, eher 20-Stunden-Tage. 20 Stunden tatsächliche Arbeitszeit. Das heißt: Nebenher essen und abends so lange vor dem Computer oder Klavier sitzen bis man einschläft. Also wirklich fulltime. Ich bin um 6 oder 7 Uhr aufgestanden und habe spätestens um 8 Uhr angefangen zu arbeiten. Und die Arbeit sieht dann so aus: Bei mir entsteht der Klang durchs Ausprobieren, im Kopf. Dann spiel ich es auf meinem E-Piano – und von dort will die Musik irgendwann raus und in Noten geschrieben werden. Klingt einfach und war einfach. Wenn mir eine halbe Stunde nichts eingefallen ist, habe ich schon von einer Schreibblockade gesprochen. Ja, längere kreative Schaffenslücken gab es nicht. Das ist alles ganz schnell entstanden, einfach so.

Einfach so?

Sigi Hänger: Nun ja, anstrengend war es schon. Wie kräftezehrend das Ganze ist, habe ich zum Beispiel gemerkt, als ich an einem Donnerstag die Kreuzigungsszene Jesu geschrieben habe. Zehn oder zwölf Stunden lang habe ich mich mit dem damaligen Geschehen verbunden und versucht die Emotionen, die da drin stecken, dieses Leiden Jesu nachzuempfinden – in jeder Nuance. Als ich fertig war, bin ich auf das Sofa gefallen und war erschlagen. Meine Kinder haben irgendetwas von mir gewollt und ich war nicht ansprechbar, habe nichts davon gehört. Ich war wie in einer anderen Welt, das weiß ich noch wie heute. Eine halbe Stunde habe ich gebraucht, um wieder im Hier und Jetzt zu sein. Und dann bin ich in den Gottesdienst gegangen (19.30 Uhr, Anm. d. Red.). Von der Predigt ist allerdings nicht allzu viel hängengeblieben.

Da sprechen Sie einen interessanten Punkt an: Sie besuchen nahezu jeden Gottesdienst der Neuapostolischen Kirche und sind als Priester und in anderen Aufgaben und Funktionen sehr aktiv. Wie ist es, als aktives Mitglied der Neuapostolischen Kirche ein großes Werk für die Neuapostolische Kirche zu schreiben? Welche Rolle spielte Ihr Glaube bei der Arbeit?

Sigi Hänger: Mein Glaube spielt, denke ich, die wesentlichste Rolle. Als reiner Musiker, also ohne meinen Glauben, hätte ich dieses Werk nicht schreiben können – und nicht schreiben wollen. Mehrmals täglich, auch zwischen dem Komponieren, habe ich gebetet: „Lieber Gott, schenke mir die richtigen Ideen und segne das, was ich hier tue.“ Also für mich ist mein Glaube die Grundlage schlechthin. Das hat sich immer wieder gezeigt, zum Beispiel als ich zwischendurch Musik von einer Schülerin arrangieren sollte – was eigentlich eine Kleinigkeit im Vergleich zum Pop-Oratorium ist.

Können Sie das erläutern?

Sigi Hänger: Ich habe dieses kleine Arrangement kaum auf die Reihe gekriegt. Irgendwie hat es funktioniert, aber es war so schlecht, dass ich es wieder verworfen habe. Da merkt man, dass rein professionelle Komposition etwas ganz anderes ist als eine Komposition, die durch den Glauben inspiriert ist. Der Motor für das Ganze kann für mich also nur der Glaube sein. Gleichzeitig macht er mich aber ganz klein. Ich denke: Ich selbst kann es nicht allein, aber zusammen mit dem lieben Gott.

Christoph Oellig: Da waren wir uns auch von Anfang an einig, dass wir das große Projekt mindestens zu dritt angehen werden – eben durch die Hilfe Gottes. Das waren ganz wunderbare Momente, wo seine Hilfe spürbar wurde. Da hat man etwas ausprobiert und auf einmal geht da so etwas auf – wie eine Blume. Und dann sitzt man da, schaut es sich an und fragt sich: Wo kam denn das jetzt her?

Wenn ich da nachhaken darf, Herr Oellig: Wie würden Sie den Grad Ihrer glaubensbezogenen Identifikation mit dem Pop-Oratorium der Neuapostolischen Kirche beschreiben?

Christoph Oellig: Hundertprozentige Identifikation. Für mich war es schon damals im Studium, als ich in verschiedenen Chören mitgesungen habe, das Größte, wenn wir geistliche Werke vorgetragen haben, zum Beispiel das Mozart-Requiem. Und ich bin mir sicher: Mozart hat das Requiem genauso wenig alleine geschrieben, sondern – wie wir – mit Gott. Fragen Sie mich nicht nach Mozarts Religionszugehörigkeit, aber eines merkt man doch immer wieder: Auf der musikalischen Ebene landet man irgendwann irgendwo beim Gleichen.

Von Mozarts Requiem zurück zu Ihrem Werk: Im Pop-Oratorium geht es um die „Ich bin“-Worte Jesu und seine Wundertaten. Welches Wunder fasziniert Sie am meisten?

Christoph Oellig: Das kann ich gar nicht sagen. Alle Wunder sind großartig.

Sigi Hänger: Ich muss sagen, mich fasziniert besonders die Auferweckung des Lazarus. Denn die absolute Grenze war bis dahin der Tod. Man konnte viel machen, aber tot war tot. Doch dann kommt Jesus und dankt Gott vorher für das, was er später tun würde. Unglaublich, diese Souveränität, mit der Jesus da vorgegangen ist – und ein unglaubliches Vertrauen in seinen Vater. Da wurde ich beim Komponieren ganz klein.

Bei „Ohne Wein, keine Party“, so ein Liedtitel, geht es auch um eine Wundertat Jesu. Und es klingt sprachlich wie inhaltlich interessant. Denken Sie, dass das Pop-Oratorium dem Publikum die Bibel näher bringen wird?

Sigi Hänger: Ich denke, das Ziel muss ganz klar sein, dass unsere Zuschauer neben allem Spaß, neben aller Musik, Verständnis der Bibeltexte und eine innere Nähe zu Jesus bekommen – zu den ganzen Begebenheiten. Sie sollen spüren, dass Jesus anfassbar ist und dass er heute mit uns spricht wie er damals mit den Menschen gesprochen hat. Das ist keine schöne, alte, rührselige Geschichte, sondern das ist Leben.

Welche Geschichte können Sie zur Entstehung des Pop-Oratoriums erzählen? Folgte Ihre Musik dem Text oder war es umgekehrt? Kann man grundsätzlich sagen, welche Reihenfolge für den Musiker einfacher ist?

Christoph Oellig: Bei uns war es so: Bevor es den Text gab, haben wir uns schon ein bisschen Gedanken gemacht – Sigi hatte spontane Ideen, ich hatte Ideen... Als der Text dann da war, ging es aber erst richtig los.

Sigi Hänger: Generell ist es so, dass erst der Text da sein sollte und dann die Musik folgt. Ausnahmen bestätigen die Regel. Ich hatte zum Beispiel ein nettes Erlebnis, wo erst die Musik da war: Manchmal sitze ich spät am Abend zuhause am Klavier und spiele, was mir gerade in den Sinn kommt. Dabei sitze ich dann in völliger Dunkelheit – nur das Klavier und ich. An einem solchen Abend entstand etwas, von dem ich dachte: Mensch, daraus kann man etwas machen. Und dann habe ich mit dem Stück etliches probiert. Zunächst sollte es ein Song zum Jugendtag werden, aber das wurde es nicht. Irgendwie passte es nie, irgendwie gab es noch keinen Text für das Stück. Also habe ich es in die Schublade gepackt – in dem Glauben, dass mit der Zeit der passende Text folgen würde.

Und dieser Text folgte dann wahrscheinlich mit dem Libretto des Pop-Oratoriums.

Sigi Hänger: Korrekt. Es war ein Gespräch in der Lazarus-Szene. Und dieser Text hat sich nahtlos in das Musikstück, das bei mir in der Schublade lag, eingefügt. Bis auf eine kleine Anpassung im Rhythmus musste ich nichts mehr verändern. Das Stück war fertig. Wenn man so will, hat die Musik auf den Text gewartet.

Christoph Oellig: Ein ähnliches Erlebnis hatte ich bei „Ich bin der Weg und die Wahrheit“. Beim Kelleraufräumen fiel mir eine alte Kassette in die Hand, auf der ich ein Stück aus Studienzeiten aufgenommen hatte. Und als ich dieses Stück wieder hörte, also nach rund 20 Jahren, ließ es mich nicht mehr los. Also habe ich es Sigi vorgespielt.

Sigi Hänger: Genau. Denn – das muss man dazu sagen – wir hatten für die Arbeit am Pop-Oratorium eine gewisse Grundabsprache was die Jesu-Worte anging. Gut, wir waren zuversichtlich, dass wir mit Gottes Hilfe die Gesamtkomposition schon schaffen würden. Doch vor den Worten Jesu hatten wir ganz besonderen Respekt. Also war von Anfang an unser Beschluss: Die „Ich bin“-Worte wollen wir nicht bewusst komponieren, sie müssen einfach da sein. Und so war es dann mit dem Stück auf Christophs alter Kassette. Als ich das Stück hörte, war mir sofort klar: Das ist es! Das ist „Ich bin der Weg und die Wahrheit“. Ja, und solche Momente, in denen die Musik quasi zu uns kam, Momente, die man nicht mehr als Zufälle bezeichnen kann, gab es so reichlich, dass wir damit alle „Ich bin“-Worte vertonen konnten.

Dann berichten Sie bitte noch von einem weiteren Moment.

Sigi Hänger: Gut, der hängt allerdings mit einem ungewöhnlichen Traum zusammen. Ich hatte vom Stammapostel geträumt, der in einer Kapelle ein Gebet sprach und dann sagte: „Nun wollen wir noch ein Lied gemeinsam singen.“ Und bevor er weiter sprach, wusste ich, welches Lied wir singen würden, nämlich ein Lied aus der neuapostolischen Chorliedermappe, Nummer 283: „Es hat mich hienieden getroffen“. Definitiv kein Lied, an das ich normalerweise denke. Aber inspiriert von diesem Lied und diesem Traum, habe ich mich in der Nacht danach an mein Klavier gesetzt, schnell für die Audio-Aufnahme gesorgt und das Stück „Ich bin das Brot des Lebens“ komponiert. Übrigens in F-Moll, also in der gleichen Tonart wie „Es hat mich hienieden getroffen“. Und als ich mir die Aufnahme tags darauf noch einmal angehört habe, war mir das Stück völlig fremd. Selbst das Aufschreiben der Noten fiel mir schwer. Denn einiges, was ich eingespielt hatte, hätte ich normalerweise musikalisch anders gelöst.

 

Fortsetzung folgt. Mehr Informationen zum Pop-Oratorium gibt es auf der offiziellen Internetseite: www.wort-und-wunder.de Tickets für die Aufführung am 15. Juni 2013 in Hamburg können unter http://www.de-vico.de/apps/nak/kartenverkauf/index.php/pop-oratorium.html bestellt werden.

Interview und Fotos: Björn Renz

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